Page 15 - Taxikurier Juni 2021
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Anscheinsbeweis bei Unfall wegen Fahrstreifenwechsels gesendet, wo die Betroffene aber seit langer Zeit schon nicht
setzt nicht Vollendung des Fahrstreifenwechsels voraus mehr wohnhaft war. Die Mutter fertigte mit ihrem Mobiltelefon
ein Foto des Bußgeldbescheids an und übersandte das Foto an
die Betroffene. Diese legte anschließend durch ihren Rechts-
Sorgfaltsanforderungen beim Fahrstreifenwechsel beginnen anwalt Einspruch gegen den Bescheid ein.
mit Verlassen des Fahrstreifens
Das Amtsgericht Verden (Aller) wies den Einspruch zurück und
Der sich aus einem Verkehrsunfall bei einem Fahrstreifenwechsel verurteilte die Betroffene zur Zahlung einer Geldbuße von
ergebende Anscheinsbeweis setzt nicht voraus, dass der Fahr- 320 Euro. Zudem verhängte es ein Fahrverbot für einen Monat.
streifenwechsel vollendet ist. Die Sorgfaltsanforderungen bei Gegen diese Entscheidung legte die Betroffene Rechtsbeschwerde
einem Fahrstreifenwechsel gemäß § 7 Abs. 5 StVO gelten bereits ein. Sie führte unter anderem an, dass ihr der Bußgeldbescheid
ab Verlassen des – gegebenenfalls auch nicht markierten – Fahr- nicht zugestellt worden sei.
streifens. Dies hat das Kammergericht Berlin entschieden.
Das Oberlandesgericht Celle entschied, dass der Bußgeldbescheid
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Fahrzeugführer der Betroffenen zugestellt wurde. Zwar habe ein Zustellungsman-
erhob im Jahr 2018 vor dem Landgericht Berlin Klage auf Zah- gel vorgelegen, jedoch sei dieser geheilt worden. Denn der Buß-
lung von Schadensersatz gegen einen anderen Fahrzeugführer geldbescheid sei der Betroffenen tatsächlich zugegangen. Durch
und dessen Haftpflichtversicherung. Hintergrund dessen war ein die Weiterleitung des Bescheids in Form eines Fotos habe die
Verkehrsunfall, der sich dadurch ereignet hatte, dass der Beklag- Betroffene tatsächlich Kenntnis davon erlangt.
te mit seinem Fahrzeug den linken Fahrstreifen nach rechts ver-
ließ und dort mit dem Fahrzeug des Klägers zusammenstieß. Dem Nach Ansicht des Oberlandesgerichts sei entscheidend darauf
Kläger war eine Vermeidung der Kollision aufgrund der kurzen abzustellen, dass es sich um eine nicht fehleranfällige techni-
Reaktionszeit nicht mehr möglich gewesen. Nachdem das Land- sche Reproduktion des Originals handelt. In diesem Fall seien,
gericht seine Entscheidung getroffen hatte, musste das Kammer- anders als bei mündlicher Überlieferung oder Abschriften Über-
gericht Berlin als Berufungsinstanz über den Fall entscheiden. tragungsfehler, ausgeschlossen. Auslassungen oder sinnentstel-
lende Textveränderungen seien technisch nicht möglich bzw.
Das Kammergericht Berlin entschied, dass dem Beklagten die denkbare Mängel in Form eines Fehlens ganzer Seiten oder ein
alleinige Haftung für den Verkehrsunfall treffe. Es spreche der Abschneiden von Textteilen offenkundig. Es könne keinen Unter-
Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Beklagte beim Fahr- schied machen, ob jemand einen Bußgeldbescheid per Mail in
streifenwechsel die Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO Kopie erhält oder eine Ablichtung in Form eines Fotos elektro-
nicht beachtet habe. Für den Anscheinsbeweis sei es unerheb- nisch zugesandt bekommt.
lich, dass der Fahrstreifenwechsel noch nicht vollständig voll-
zogen war, als es zur Kollision kam. Die Sorgfaltsanforderungen (Oberlandesgericht Celle,
des § 7 Abs. 5 StVO beginnen bereits mit dem Verlassen des – Entscheidung vom 10.03.2021 – 2 Ss (OWi) 348 ⁄ 20)
gegebenenfalls auch nicht markierten – Fahrstreifens.
(Kammergericht Berlin, Urteil vom 10.02.2021 – 25 U 160 ⁄ 19) Nutzungsausfallentschädigung: Verzögerte Reparatur des
unfallbeschädigten Pkw wegen Lieferschwierigkeiten bei
Ersatzteilen geht zu Lasten des Unfallverursachers
Zustellung eines Bußgeldbescheids durch elektronische
Übermittlung eines Fotos an die Betroffene durch Mutter
Kein Verstoß gegen Schadensminderungspflicht wegen
unterlassener Nachforschung zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen
Heilung eines Zustellungsmangels durch Fotoübermittlung
Beansprucht ein Unfallgeschädigter Nutzungsausfallentschädi-
Ein Zustellungsmangel kann dadurch geheilt werden, dass der gung und kommt es wegen Lieferschwierigkeiten bei Ersatzteilen
Betroffene elektronisch ein Foto des Bescheids übermittelt zu einer Verzögerung der Reparatur seines unfallbeschädigten
bekommt. Dies hat das Oberlandesgericht Celle entschieden. Pkw, so geht dies zu Lasten des Unfallverursachers. Es stellt kei-
Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Wegen der Über- nen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, wenn es
schreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um der Unfallgeschädigte unterlässt, bei anderen Werkstätten nach
35 km ⁄ h erging gegen eine Autofahrerin ein Bußgeldbescheid. der Verfügbarkeit der Ersatzteile zu forschen oder den Pkw teil-
Der Bescheid wurde an die Adresse der Mutter der Betroffenen weise zu reparieren. Dies hat das Oberlandesgericht Düsseldorf
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