Page 20 - Taxikurier Mai 2023
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PORTRÄT
➔ ESMAIL KIA
Von Birgit Heller
Einer unserer ältesten, noch aktiven, selbstfahrenden Unternehmer wird in diesem Jahr seine Laufbahn als
Münchner Taxler beenden. Der 1939 geborene Esmail Kia hat ein bewegtes Leben. Eigentlich war ihm von seinen Eltern
ein ganz anderer Lebensweg vorherbestimmt. Aber wie so oft im Leben: Es kommt ganz anders, als man denkt.
Esmail Kia wurde 1939 in Persien, dem dem Malen, frönen. Seine Kollegen nann- eine gute Zeit die Ursache für seinen be-
heutigen Iran, als Sohn eines Schuldirek- ten ihn „Picasso“, wenn er wieder einmal wegten Zustand. Ein anderer Auftrag hat
tors geboren. Noch heute denkt er an die am Standplatz seine Umgebung auf dem bei ihm auch einen tiefen Eindruck hinter-
unbeschwerten Jahre seiner Kindheit und Papier festhielt. Wer jetzt meint, es han- lassen. Er fuhr vom Hotel „Vier Jahres-
Jugend zurück. Anfang der 70er Jahre des dele sich dabei um laienhaftes Gekritzel, zeiten“ Gina Lollobrigida zum ARRI Kino.
vorigen Jahrhunderts kam er nach Deutsch- der irrt. Da er all ihre Filme kannte und sie ein Idol
land um zu studieren. Wie viele seiner seiner Generation war, war für ihn diese
Landsleute waren deutsche Universitäten Eigentlich wollte Esmail Kia sein Studium Fahrt etwas ganz Besonderes.
bei den Iranern sehr begehrt. Da zu Zeiten an der Kunsthochschule beginnen. Dies hat
des letzten Schahs, Mohammad Reza aber der besorgte Vater zu verhindern ge- Als Tagfahrer waren ihm die nächtlichen
Pahlavi, die Iraner in viele Staaten der wusst, da in seinen Augen mit Kunst kein Gefahren relativ fremd. Einmal bekam er
Erde visafrei einreisen konnten, gab es Geld zu verdienen wäre. Heute hängen in am Abend noch einen Auftrag. Die Herren
keine großen Hürden, ein studentisches der Wohnung von Herrn Kia etwa 300 Bil- ließen sich hin und her durch das Stadtge-
Leben in Deutschland zu führen. der, deren Qualität außer Frage stehen. Es biet fahren und ihm war schon ganz mul-
hat sogar Ausstellungen mit seinen Bildern mig. Dann dirigierten ihn die Fahrgäste an
Esmail Kia ging an die LMU in München gegeben, eine davon im Haus der Kunst. eine Adresse außerhalb des Stadtgebietes
und schloss die Stadt sofort in sein Herz. und er malte sich schon aus, wie er reagie-
Er begann Politikwissenschaften im Haupt- Für ihn ist der Taxiberuf eine Berufung ren würde, wenn sie ihn überfallen würden.
fach und Völkerrecht und Neuere Geschich- geworden. Neben der Freiheit des Taxiberu- Er war fest entschlossen, im Fall der Fälle
te im Nebenfach zu studieren. Damit legte fes schätzt er den Kontakt mit den Men- das Taxi frontal gegen einen Baum zu fah-
er eigentlich den Grundstein für eine Karri- schen. Ihre Schicksale haben es ihm an- ren. Als sie an der Zieladresse ankamen,
ere im diplomatischen Dienst seines Lan- getan. Gutes Benehmen und korrektes zahlten die Gäste anstandslos und ver-
des. Aber dazu sollte es nicht kommen. Auftreten sind für ihn selbstverständlich. schwanden in der Dunkelheit. Man kann
Esmail Kia bedauert sehr, dass viele junge sich gut vorstellen, wie groß der Stein war,
Als 1979 die Islamische Revolution im Iran Taxler diesen Beruf nur als Job, wie jeden der ihm vom Herzen fiel.
siegte, waren die iranischen Studenten im anderen auch, sehen und der Service-
Ausland auf sich allein gestellt. Da der gedanke oft auf der Strecke bleibt. Noch heute ist er froh, dass in seinem Taxi
Geldverkehr eingestellt wurde, konnten die nie ein Kind geboren wurde. Einmal stieg
Familien ihre Kinder im Ausland nicht mehr Wenn man Esmail Kia nach seinen Erlebnis- eine hochschwangere Frau in sein Taxi ein
unterstützen. Auch Esmail Kia war davon sen fragt, die ihm besonders im Gedächtnis und bat ihn, sehr schnell ins Schwabinger
betroffen. geblieben sind, ist es interessant, dass er Krankenhaus zu fahren. Esmail Kia fuhr mit
nur Positives berichtet. Vollgas in Richtung Krankenhaus, immer in
Aber er hatte das Glück, dass er bereits der Hoffnung, dass er noch rechtzeitig vor
1973 mit dem Taxifahren begonnen hatte. Eine ganz besondere Begebenheit war eine der Geburt ankommen würde. Überglücklich
Es machte ihm Spaß, durch München zu Fahrt vom damaligen Hotel Conti nach kam die Dame im Krankenhaus an und das
fahren und sich ein kleines Zubrot zu ver- Nymphenburg. Als er am Hotel ankam, Baby wurde, wie es sich gehört, im Kreiß-
dienen. Nun musste das Zubrot aber den konnte er kaum seinen Augen trauen. Vor saal geboren.
gesamten Lebensunterhalt einbringen. Für ihm stand „seine Kaiserin Soraya”. Dazu
ihn war klar, dass er in München bleiben muss man wissen, dass Soraya sehr beliebt Für Esmail Kia wurde das Taxifahren zum
würde. Er hatte inzwischen eine Münchne- in Persien war und auch in Deutschland Traumjob neben der Malerei. Er sagt selbst,
rin geheiratet und mit ihr eine Familie ge- viele Unterstützer und Freunde hatte. Die dass es der beste Job der Welt sei, wenn
gründet. 1988 ergab sich die Gelegenheit, Fahrt ging zu ihrer Mutter, die in Nymphen- man noch einen zweiten Job hat.
eine Konzession (Taxi 576) zu erwerben. burg lebte. Esmail Kia liefen vor Rührung
Als selbständiger Unternehmer war er sein die Tränen aus den Augen, seine Hände Wir wünschen ihm alles Gute, Gesundheit
eigener Herr und konnte beim Warten auf zitterten. Neben der Verehrung für diese und einen wunderbaren Ruhestand im
die Fahrgäste seiner zweiten Leidenschaft, Frau war sicher auch die Erinnerung an Kreise seiner Familie.
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