Page 26 - Taxikurier Mai 2023
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STADTKUNDE MÜNCHEN

            ➔ ORIENTIERUNG UND STÄNDIGER WANDEL





           Die Straßen- und Platznamen – Von Benedikt Weyerer



           Die Straßen- und Platznamen einer Gemeinde dienen nicht nur der Orientierung, vielmehr sind sie auch ein schier unend liches
           Feld der Diskussion. Sie sind das Gedächtnis der Stadt im Speziellen und ein Spiegel der Geschichte ihres Landes im Allgemeinen,
           außer die Stadtverwaltung entscheidet sich für Banalitäten wie Pflanzen und Tiere, was lange Zeit leider häufig genug geschah,
           auch in München. Alle Straßenbenennungen können hier aus Platzgründen nicht beleuchtet werden, daher muss sich die Darstel-
           lung auf einige zentrale Aspekte beschränken.


             Der TAXIKURIER veröffentlicht also    Natürliche Straßennamen     vorgezogen. Die zweite Umbenennung die-
             eine Reihe von Beiträgen, die sich mit                            ser Art ist der Max-Joseph-Platz von 1803,
             den  Straßen- und Platznamen in Mün-  Als natürliche Straßennamen bezeichnet   davor der Residenzplatz, befohlen von Kur-
             chen beschäftigen, beginnend mit der   man Benennungen, die sich auf natürliche   fürst Maximilian IV. Joseph (1756–1825),
             Entstehung solcher Benennungen.  Gegebenheiten beziehen, beispielsweise   seit 1806 König Maximilian I. Joseph. Bis
                                             den Ort, zu dem sie führen: Sendlinger   mindestens ins Jahr 1860 entstanden Neu-
                                             Straße, Rosenheimer Straße, Würmtalstra-  und Umbenennungen von Verkehrsflächen
           STRASSENNAMEN ⁄ TEIL 1            ße, Hachinger-Bach-Straße oder Thalkirch-  auf Befehl des Königs. Erst die Gemein-
                                             ner Straße, um nur einige zu nennen. Oder   deordnung von 1869 legte ein geregeltes
                                             geografische Gegebenheiten wie das Tal,   Vorgehen fest: Der Münchner Magistrat be-
           Entstehung                        die Theresienhöhe, die Hochstraße, Am   schloss auf Anregung von privater oder be-
                                             Nockherberg. Dann die Namen, die ein   hördlicher Seite hin Straßenbenennungen
           In München gibt es rund 6.900 Straßen     benachbartes Gewerbe oder eine Tätigkeit   und teilte diese der Kammer des Innern der
           und Plätze. Infolge des Wachstums der   bezeichnen: Bräuhausstraße, Schulstraße,   königlichen Regierung von Oberbayern mit.
           Stadt werden es jedes Jahr mehr, beispiels-  Herzogspitalstraße, Müllerstraße, Erzgieße-  Von hier aus gelangten die Vorschläge an
           weise 2020 zwölf neue, 14 neue im Jahr   reistraße, Bad Brunnthal, Pulverturmstraße,  das Königliche Staatsministerium des In-
           2021, aber im Jahr 2022 lediglich vier   Rennbahnstraße, Sternwartstraße oder   nern. Dieses nun stellte fest, ob der König
           neue Benennungen, die kurz vor Baubeginn  Salzstraße. Ebenso verhält es sich bei Kir-  mit den Vorschlägen einverstanden war,
           vergeben werden. Die Zahl der Neubenen-  chen: Frauenplatz, Heiliggeiststraße, Maria-  was meistens der Fall war, denn die Vor-
           nungen spiegelt auch immer die wirtschaft-  hilfplatz, Pfarrstraße oder Kirchenstraße.       schläge waren dementsprechend stromlini-
           liche Entwicklung der Stadt wider: So ent-                          enförmig ausgewählt worden. Die Entschei-
           standen beispielsweise zwischen 1900 und                            dung ging den umgekehrten Amtsweg
           1914 Hunderte neuer Namen, während des   Verfahren der Benennung    zurück ins Münchner Rathaus, wo der Ma-
           Ersten Weltkrieges (1914–1918) dann in-                             gistrat den Beschluss über das Inkraft-
           nerhalb der damaligen politischen Grenzen   Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ergaben   treten der neuen Benennungen fasste, und
           Münchens zwar 37 neue Straßenbenennun-  sich Straßen- und Platznamen aus natürli-  zwar „Allerhöchst genehmigt mit Entschlie-
           gen, wo dann allerdings nur spärlich ge-  chen Gegebenheiten, Überlieferung etc.   ßung des königlichen Staats-Ministeriums
           baut wurde, weil das Geld in die Rüstung   Gleichzeitig mit dem Entstehen des moder-  des Innern“. Diese Prozedur behielt ihre
           floss, und ähnlich während des Zweiten   nen Bayern und dem Beginn des Königrei-  Gültigkeit bis zum Ende des Königreiches
           Weltkrieges (1939–1945). In den anschlie-  ches Bayern im Jahr 1806 begann das herr-  im November 1918. Mit der Revolution im
           ßenden Jahren 1945 bis 1948 entstanden   schende Fürstenhaus der Wittelsbacher,   November 1918 erlangten die Kommunen
           wiederum Hunderte neuer Straßennamen,   Platz- und Straßenbenennungen zu politi-  im nunmehr republikanischen Freistaat
           aber es waren dies Umbenennungen poli-  sieren und ihre Umbenennung nach sich   Bayern eine erweiterte Selbstständigkeit
           tisch belasteter Bezeichnungen oder Um-  selbst zu befehlen. Ein Beispiel dafür sind   und der nunmehrige Stadtrat konnte seine
           benennungen, die durch die Eingemein-  die Ludwig- und Theresienstraßen, die in   Straßenbenennungen eigenständig bestim-
           dungen notwendig wurden. Nach der   zahlreichen bayerischen Städten entstan-  men, ohne eine übergeordnete Behörde um
           Währungsreform von 1948 ging es dann   den, etwa in Straubing, Ingolstadt oder   Erlaubnis bitten zu müssen. Bald allerdings
           wieder aufwärts: In München lebten Ende   Würzburg. In München machte Kurfürst Karl   erhob eine neue Autorität den Anspruch
           1948 800.000 Bewohner, Ende 1958 wurde   Theodor (1724–1799) den Anfang, als er   auf das letzte Wort: Mit der Machtübergabe
           die Millionengrenze überschritten und heu-  1797 befahl, die inoffizielle, umgangs-  an die Nationalsozialisten am 30. Januar
           te sind es knapp 1.600.000 Menschen. Die   sprachliche Bezeichnung Stachus in Karls-  1933 verloren die Kommunen wieder weite
           Zahl der Straßen- und Platznamen nahm   platz zu ändern. Dieses Unterfangen gelang   Bereiche ihrer Selbstbestimmung an die
           ständig zu und daran wird sich auch nichts   bekanntlich nur unzureichend, denn noch   Berliner Zentralbehörden. Der Stadtrat trug
           ändern.                           heute wird die alte Bezeichnung der neuen   seit 1935 den Fantasienamen „Versamm-




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