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STADTKUNDE MÜNCHEN
➔ NICHTS NEUES UNTER DER SONNE
Von Benedikt Weyerer
Weihnachtstumulte 1830 und Schwabinger Krawalle 1962. Im Jahr 1830 drängten sich rund 72.000 Einwohner hauptsächlich
innerhalb des heutigen Altstadtringes in der eng bebauten Stadt München zusammen. Die ersten Vor-Städte entstanden bereits
mit der Maxvorstadt, Isarvorstadt, dem Lehel und der Ludwigsvorstadt. Das Militär war strategisch günstig am Rand der Altstadt
stationiert, und zwar in der Kreuzkaserne am Karlstor, in der Kaserne am Kosttor sowie in der Isarkaserne auf der Kohleninsel,
heute Standort des Deutschen Museums.
In der Mitte der Stadt befand sich an der vor dem Wachlokal zu randalieren. Viele auf 400 Soldaten durch die sofortige Einbe-
Weinstraße die Hauptwache der Polizei. junge Leute strömten nun plötzlich wie aus rufung von Beurlaubten. Er begründete die
Dies alles erschien notwendig, um die da- dem Nichts herbei, um die Gefangenen zu Maßnahme folgendermaßen, übertragen in
maligen, politisch instabilen Verhältnisse befreien. Die Situation erschien dem Wach- heutiges Deutsch: „Da sich diese Vorfälle
unter Kontrolle zu halten. Am Un-heiligen habenden so bedrohlich, dass er die Be- nun schon einige Tage immer wieder erneu-
Abend 1830 war es wieder einmal so weit. waffnung der Soldaten anordnete. Schließ- ern und die Sache einen ernsteren Charak-
lich begab sich der Stadtkommandant zur ter anzunehmen scheint, so halte ich es
Karlstorwache, um die Situation zu ent- für meine Pflicht, die Verfügung zu treffen,
Das Revolutionsjahr 1830 schärfen. Nun wurden die Arrestanten, dass die Wachmannschaften mit scharfen
deren Personalien inzwischen bekannt wa- Patronen versehen und derlei auch an
Im Jahr 1830 brach in Frankreich die Ju- ren, wieder auf freien Fuß gesetzt und die sämtliche Regimenter für die anderen
li-Revolution aus und in Polen erhob sich Studenten zogen friedlich ab. Diese Vor- Mannschaften zur allenfalls notwendig
die Bevölkerung gegen Russland, zu dem kommnisse am Heiligen Abend waren aber werdenden Verteilung abgegeben werden.
das Land damals gehörte. Dies hatte auch nur das harmlose Vorspiel zu den eigent- Für die Nacht wird ein Zug Soldaten gesat-
Auswirkungen auf das Königreich Bayern, lichen Weihnachtstumulten, die in der telt unter dem Kommando eines Offiziers
dessen Herrscher Ludwig I. (1786–1868, Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 1830 zur Verwendung bereitgehalten werden.“
Ludwigstraße von 1822) selbst nun um begannen. Anzumerken ist noch, dass da-
seine Herrschaft fürchtete. Als Ursache mals Soldaten und Polizisten dieselben
des Übels betrachtete der misstrauisch Ordnungs-Aufgaben erfüllten. Kritik
ge wordene Monarch die Presse, deren
schnelle Ausbreitung und respektlose Spra- Von ziviler Seite wurde der Einsatz der
che er als Ergebnis zu großer Milde einer- Die Nacht vom 26. zum 27. Dezember Truppe auf dem Schrannenplatz als über-
seits und schamloser Ausnutzung königli- harte Reaktion kritisiert. Der eigentliche
cher Großzügigkeit andererseits deutete. Eine routinemäßige Patrouille aus fünf Sol- Militäreinsatz sei erst erfolgt, als unbetei-
daten stieß beim heutigen Jagdmuseum ligte Passanten auf das Auftreten der Sol-
auf eine Schlägerei zwischen rund 30 Stu- daten betont lässig und spöttisch reagiert
Die Weihnachtstumulte von 1830 denten und Handwerkern, ein damals all- hätten. Daraufhin seien Soldaten aus der
tägliches Vorkommnis. Die Soldaten misch- Hauptwache kommend über die Zivilisten
Eine Stunde vor der Christmette am ten sich ein, um zu schlichten, mit dem hergefallen. Sogar die Polizeidirektion er-
24. Dezember 1830 zogen einige Studenten Ergebnis, dass sich die Streithähne plötz- kannte später: „Das Militär soll sich bei
lärmend durch die Rosenstraße, über den lich solidarisierten und gemeinsam gegen diesem Vorfall so grell und übereilt benom-
Schrannenplatz (seit 1854 Marienplatz) das zahlenmäßig unterlegene Militär vor- men haben, dass dieses Verfahren mehr
und durch die Kaufinger- und Neuhauser gingen. Darauf zog sich die Patrouille an- zur Erbitterung der Gemüter beiträgt und
Straße zum Karlstor. Ein konkreter Grund gesichts der zivilen Übermacht über den eher zu größeren Exzessen als zur Ordnung
für dieses provokative Verhalten ließ sich Schrannenplatz in Richtung der Haupt- und Ruhe führt.“
nicht erkennen. Auf alle Fälle erregte der wache in der Weinstraße zurück, wobei sie
Lärm den Unwillen von Bürgern, die sich sich die Randalierer mit aufgepflanzten Ba-
zum Gottesdienst begaben. Auf deren Ver- jonett auf Abstand hielten. Anschließend Die Auseinandersetzungen in der
langen verhafteten Soldaten der Militär- zogen die vereinten Streithähne zur Haupt- Nacht zum 28. Dezember
wachmannschaft am Karlstor vier Studen- wache, um sie zu stürmen, worauf es auf
ten, die sich weigerten, ihre Personalien dem Schrannenplatz zu einem blutigen In der Nacht vom 27. auf den 28. Dezem-
feststellen zu lassen. Die Übrigen verlang- Handgemenge unter Einsatz von Stichwaf- ber kam es erneut zu einem größeren
ten die sofortige Freilassung ihrer Kollegen. fen kam. Der Stadtkommandant erhöhte Tumult. Der Kommandant der Hauptwache
Als dies verweigert wurde, begannen sie daraufhin den Präsenzstand der Infanterie berichtete: „Die vergangene Nacht ver-
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