Page 32 - Taxikurier Dezember 2022
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Ziemssenstraße wurde am 22. Mai 1938 mit
dem Bau der U-Bahn begonnen, und zwar
vom Münchner Bürger Adolf Hitler (1889–
1945), privat wohnhaft am Prinzregenten-
platz 16, höchstpersönlich. Typisch für
das damalige Deutsche Reich war, dass an
diesem lokalpolitischen Ereignis Einheiten
der Wehrmacht, der SS und anderer kriege-
rischer, uniformierter Formationen teilnah-
men. In der Zeitung las man am nächsten
Tag: „Der Führer befielt Arbeitsaufnahme
zum Ausbau Münchens. Der erste Ramm-
Die Nacht vom 24. zum dem Marktplatze (Marienplatz) mit dem stoß zur Münchner U-Bahn. Sieben Jahre
25. Dezember 1705 Schwert enthauptet. An seinem Haus wurde lang wird München ein einziger riesiger
ihm zu Ehren im Jahr 1882 als Vorbild der Werkplatz sein, um dann, nach dem Willen
Stadtauswärts gesehen nach der Bahn- Münchner Bürgertreue eine diesbezügliche des Führers als eine der schönsten und blü-
unterführung zweigt die Implerstraße von Inschrift angebracht.“ Weitere vaterland- hendsten Gemeinden einzugehen in den
1893 ab. Rambaldi erklärt: „Patrizierge- streue Seitenstraßen der Lindwurmstraße herrlichen Städtekranz, dessen vollendete
schlecht der Impler. Ein Hans Impler wurde sind die Aberlestraße, Daiserstraße und Steigerungen vier neu entstandene kommu-
im Jahr 1385 auf dem Marktplatze ent- Kidlerstraße, alle im Jahr 1886 vom Magis- nale und baulich-ästhetische Zentren sein
hauptet. Die Familie der Impler machte trat beschlossen; über die Lebensdaten der werden: Berlin, Hamburg, Nürnberg und
eine Reihe von Wohltätigkeits-Stiftungen.“ Geehrten ist nichts Genaues überliefert. An München.“ Von allgemeinem Jubel immer
Sendling entwickelte sich seit seiner Einge- ihrem Ende zur Plinganserstraße hin er- wieder unterbrochen, tönte Hitler, dass die
meindung zu einem Arbeiterviertel, dessen klimmt die Lindwurmstraße das eiszeitlich neue U-Bahn für die nächsten 500, wenn
Bewohnerschaft an patriotisch benannten Ufer der Isar von vor 12.000 Jahren und nicht sogar 1.000 Jahre gebaut werden
Straßen leben sollte, sozusagen als Gegen- endet an der alten Kirche Sankt Margaret, würde. Zum Schluss rief er pathetisch: „Und
gewicht zu ihrer von der Obrigkeit befürch- auf deren Friedhof sich das Denkmal für die deswegen denken wir in dieser Minute alle
teten, politischen Linkslastigkeit. Über die Sendlinger Bauernschlacht erhebt. wieder an unser Deutschland, dem wir
Bavariastraße von 1886 schreibt Rambaldi: ergeben und dem wir verschworen sind
„Führt in Sendling von der Lindwurmstraße mit Leib und Seele. Und damit soll im Ge-
zwischen der Krauss’schen Lokomotivfabrik Verkehrsachse denken an Deutschland auch diese Arbeit
und der Gugg’schen Gießerei zum Standbild beginnen!“
der Bavaria.“ Die 1850 aufgestellte Monu- Die Lindwurmstraße war und ist immer
mental-Statue galt als Sinnbild des bayeri- noch eine Verkehrsmagistrale. Seit Men- Bis 1941 war der Rohbau auf rund 600 Me-
schen Staates. Weiter geht es mit der schengedenken führte die oben bereits er- tern vom Goetheplatz bis zur Reisinger-
Senserstraße von 1877, über deren Namen wähnte Fernhandelsstraße von Norditalien straße fertiggestellt, dann wurde der Bau
Rambaldi staatstragend berichtet: „Senser über den Brenner, das heutige Innsbruck kriegsbedingt eingestellt und die Räume
ist einer der Patrioten, welche 1705 im und Mittenwald, über den Kesselberg nach dienten als Luftschutzkeller. Das Tausend-
Aufstand der Bayern gegen ihre Unterdrü- Kochel, über Wolfratshausen nach Sendling jährige Reich endete allerdings nur sieben
cker, die Österreicher, das Anrecht der Erin- und von dort über die Lindwurmstraße Jahre später im Mai 1945 und eine „Gesell-
nerung sich verdient haben. (…) Johann nach München, was ungefähr der heutigen schaft für Champignonkulturen“ baute nun
Sebastian Senser, Bürger und Ratsherr von Bundesstraße B 11 entspricht. Bis 1967, in den leer stehenden, dunklen und feuch-
München, von 1691 bis 1706 Mitbesitzer dem beginnende Bau von U- und S-Bahn, ten unterirdischen Räumlichkeiten Pilze
des Hauses Nr. 87 in der Sendlinger Straße. der Fußgängerzone und des Mittleren Rin- an. Seit 1950 verfüllte man die Bauwerke
(…) Die Bauern wurden von der überlege- ges, floss ein großer Teil dieses Verkehrs mit Bombenschutt, der schließlich 1965
nen Österreichern angegriffen, zurückge- über den Marienplatz. Innerstädtisch spiel- wieder entfernt wurde, weil nun die U-Bahn
drängt und auf den Feldern zwischen Mün- te die Straße eine wichtige Rolle auch für tatsächlich entstand. Am 19. Oktober 1971
chen und Sendling gänzlich vernichtet. den öffentlichen Nahverkehr, befahren von begann dann ihr Betrieb zwischen Goethe-
Senser wurde (…) am 29. Januar 1706 auf drei Trambahnlinien. An der Ecke zur platz und Kieferngarten. (BW)
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