Page 32 - Taxikurier Juni 2021
P. 32
kes München keine Straßen und Plätze man sich eine der geplanten Prachtstraßen eines politisch motivierten Attentates
mehr mit Namen aus der Regierung des für diese Ehrung reserviert hatte. Normaler- durch einen Gegner Nazideutschlands. Am
Dritten Reiches vorhanden.“ Dies war aller- weise hätten nach den Eingemeindungen 1. Juli 1945 kam die Umbenennung zu
dings eine vorschnelle Behauptung, denn alle Adolf-Hitler-Straßen außer einer einzi- Lieberweg nach Franz L. (1798–1872),
bis 1947 musste noch einmal eine Vielzahl gen umbenannt werden müssen, um Ver- einem US-amerikanischen Professor deut-
von politisch belasteten Straßennamen aus wechslungen vorzubeugen. Am 1. Sep- scher Abstammung. Man blieb also bei
jener Zeit ersetzt werden. Doch das ist ein tember 1939 begann nach intensiven den Deutschen im Ausland. Die Ernst-vom-
anderes Kapitel. Vorbereitungen der Zweite Weltkrieg und Rath-Straße ehrte einen Gesandtschaftsrat
die Stadtverwaltung konnte sich dem dar- (1909–1938) der deutschen Botschaft in
aus sich ergebenden drohenden Dilemma Paris. Auch er fiel einem politischen Atten-
Juli 1945: Ministerpräsident entziehen, ihrem Ehrenbürger sowie Besit- tat zum Opfer. Sein Tod diente als Anlass
Fritz Schäffer zer und Bewohner vom Prinzregentenplatz für die seit langem vorbereiteten, anti-
16 Straßen wegnehmen zu müssen. Denn semitischen Pogrome, zu deren Ausführung
Der von der US-Militärverwaltung am rechtzeitig am 30. August 1939 kam aus Propagandaminister Joseph Goebbels
28. Mai 1945 eingesetzte Ministerpräsident Berlin ein erlösender Erlass des Reichs- (1897–1945) am 9. November 1938 im
Fritz Schäffer (1888–1967, Fritz-Schäffer- innenministeriums, der die Einstellung aller Saal des Münchner Alten Rathauses aufrief.
Straße von 1973) erklärte am 21. Juli 1945 Arbeiten bezüglich Straßenbenennungen Kein Wunder, dass diese Verkehrsfläche am
auf Radio München: „Die Militärregierung als kriegsunwichtig anordnete und damit 1. Juli 1945 zur Weyprechtstraße wurde
hat eine Anordnung erlassen, dass alle auf die Zeit nach dem erhofften „Endsieg“ nach dem tatsächlich verdienten Nord-
nationalsozialistischen Zeichen aus der aufschob. Anstatt dieses Sieges marschier- polarforscher Carl W. (1838–1881).
Öffentlichkeit zu entfernen sind und dass te nun allerdings die US-Armee in München
an deren Stelle wieder vertraute Namen ein und der 1. Juli 1945 brachte folgende
der Heimatgeschichte zu wählen sind. Umbenennungen: In Pasing wurde aus Juli 1945: Die SS-Kaserne
1.500 Jahre sitzt der bayerische Stamm dem Adolf-Hitler-Platz der Avenariusplatz
unveränderlich und unerschütterlich auf nach einem Schriftsteller, in Allach aus der In der Nachbarschaft des Harthofes, an der
seinem Boden. Die Fluten der Hunnen und Adolf-Hitler-Straße die Vesaliusstraße nach Ingolstädter Straße 193 ⁄ Ecke Neuherberg-
Awaren, die Gräuel des Dreißigjährigen einem Arzt, in Obermenzing gab es nun die straße, entstand von 1935 bis 1938 eine
Krieges sind über ihn hinweggegangen und Verdistraße nach dem Komponisten, in SS-Kaserne, die seit 1945 der US-Armee als
immer wieder ist er aus Schutt und Asche Solln die Diefenbachstraße nach einem Warner Barracks diente und seit 1971 als
emporgeblüht durch stille und friedliche Maler, in Untermenzing die Eversbusch- Ernst-von-Bergmann-Kaserne die Sanitäts-
Wiederaufbauarbeit. Lasst uns der Namen straße nach einem weiteren Arzt, in Aubing akademie der Bundeswehr beherbergt.
unserer Vorfahren wieder gedenken, die die Limesstraße nach der römischen Grenz- Südlich anschließend entstand eine kleine
diese friedliche Arbeit geleistet, die unsere befestigung und in Lochhausen konnte Siedlung für SS-Offiziere und ihre Familien.
bayerische Heimat zu einem Land der Kunst man nun die Schussenrieder Straße befah- Die kurzen Sackgassen erhielten 1937
und des Geistes, zu einem Land des freien ren, benannt nach einem Ort im heutigen Benennungen nach SS-Männern, die in der
und frohsinnigen Lebens gemacht haben. Baden-Württemberg, wo vorgeschichtliche Zeit vor 1933 bei politischen Auseinander-
Lasst uns daraus wieder Hoffnung schöp- Funde ausgegraben worden waren. Ohne setzungen ums Leben gekommen waren:
fen. Der Nationalsozialismus war der Feind auf nähere Einzelheiten eingehen zu kön- Edmund-Behnke-Straße (1906–1930),
des Heimatgedankens. Wir bauen auf dem nen, fällt bei diesen Umbenennungen auf, Fritz-Beubler-Straße (1911–1931),
Heimatgedanken wieder auf und wollen dass die neuen Straßennamen positiv Hans-Cyranka-Straße (1910–1931),
eine bayerische Heimat – frei und echt und besetzt sind, sehr im Gegensatz zu ihrem Kurt-von-der-Ahè-Straße (1897–1933) so-
wahr!“ Was immer von dieser Aussage auch bisherigen Paten. wie die Arnold-Guse-Straße (1911–1932).
inhaltlich zu halten sein mag: Hieraus Es war klar, dass diese Verkehrsflächen
erklärt sich die bezeichnende und massen- sofort nach Kriegsende umbenannt wurden,
hafte Entpolitisierung von politisch be- Juli 1945: Harthof insbesondere auch, weil die US-Armee
lasteten Straßennamen seit Kriegsende die Wohnungen belegte.
1945 nach heimischen Burgen, bayerischen Ende 1939 näherte sich die Siedlung
Dörfern, Pflanzen und Vögeln, aber auch Harthof ihrer Fertigstellung, so dass die Weil sich direkt südlich anschließend
nach Ärzten, Wohltätern, Komponisten und Benennung ihrer Straßen notwendig wurde. bereits ein Vogel-Viertel befand (Bach-
anderen verdienten Persönlichkeiten. Der Stadtrat entschied sich im Jahr 1939 stelzenweg, Dohlenweg, Elsterstraße, Gras-
für Namen nach Personen, die sich nach mückenweg und Hänflingweg), entschied
seinem Empfinden im Ausland um das so Oberbürgermeister Karl Scharnagl am
Juli 1945: Adolf-Hitler-Straßen genannte Deutschtum verdient gemacht 1. Juli 1945 die Umbenennungen und aus
und -Plätze hatten. Hierbei kamen einige Personen zu den SS-Männern wurden unverfängliche
Ehren, die sich nach heutigem Verständnis Vögel: Behnke musste der Goldammer
Im 1938 wurden die Stadt Pasing und die allerdings in keiner Weise verdient gemacht weichen, Beubler dem Buchfinken, Cyranka
Dörfer Allach, Obermenzing, Solln und hatten, weshalb ihre Ehrungen nach dem der Haubenlerche, Ahè dem Kreuzschnabel
Untermenzing, im Jahr 1942 schließlich Einmarsch der US-Armee rückgängig ge- und Guse dem Regenpfeifer. Die US-Militär-
Aubing und Lochhausen nach München macht wurden. Da war zum Ersten die behörden genehmigten diese entpoliti-
eingemeindet, in denen es bereits Adolf- Wilhelm-Gustloff-Straße. Dieser lebte von sierten Umbenennungen, gegen die wirk-
Hitler-Plätze und -Straßen gab. In Mün- 1895 bis 1936 und wurde als Landesgrup- lich niemand etwas haben konnte, am
chen selbst existierte keine solche, weil penleiter der NSDAP in der Schweiz Opfer 26. Juli 1945.
32 ⁄ TAXIKURIER ⁄ JUNI 2021